Wenn Worte keine Narben tragen

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Ein stiller Blick auf künstliche Intelligenz und das, was sie (nicht) schreiben kann

Es gibt Momente, in denen ich vergesse, dass Sprache mal etwas war, das wehgetan hat.
Weil sie heute überall ist – glatt, perfekt, endlos reproduzierbar.
Texte entstehen in Sekunden.
Inhalte werden generiert, aneinandergereiht, veröffentlicht.
Und manchmal liest man etwas, das einem nahekommt.
Etwas, das wie Wahrheit klingt.
Und doch leer bleibt.

In dieser neuen Welt, in der künstliche Intelligenz in der Lage ist, Texte zu formulieren, Bücher zu schreiben, Gespräche zu führen und sogar Poesie zu erzeugen, stehe ich oft still da – zwischen Faszination und Fremdheit. Nicht, weil ich Angst davor habe, dass Maschinen „besser“ schreiben könnten. Sondern weil ich mich frage:
Was bleibt übrig von uns, wenn Worte nichts mehr kosten?

Ich habe angefangen zu schreiben, weil ich nicht anders konnte.
Weil ich Nächte kannte, in denen kein Mensch geblieben ist –
nur Papier, ein leerer Bildschirm, ein stiller Raum.
Ich habe geschrieben, weil ich nicht wusste, wie man lebt,
aber vielleicht ein bisschen verstanden habe, wie man fühlt, wenn niemand hinsieht.

Jede Zeile, die ich geschrieben habe, war ein Stück von mir.
Ein Abdruck. Eine Spur. Ein Versuch, mich zu erinnern, dass ich überhaupt existiere.
Und wenn ich heute sehe, wie Maschinen Sprache erzeugen, dann frage ich mich:
Was ist ein Satz wert, wenn niemand dafür aufgestanden ist? Wenn niemand dabei gezittert hat? Wenn niemand in sich selbst zusammengesackt ist, bevor er ihn aufgeschrieben hat?

KI ist nicht das Problem.
Ich will sie nicht verteufeln – aber idealisieren werde ich sie auch nicht.
Sie kann sortieren, strukturieren, imitieren.
Aber sie ersetzt nicht das, was ich beim Schreiben durchlebt habe.
Sie kennt keine Scham, keine Einsamkeit, kein Ringen mit sich selbst.
Sie kennt keine Nächte am Fenster,
in denen der Mond das Einzige war,
was noch still genug war,
um zuzuhören.

Sie schreibt keine Texte aus Not.
Sie schreibt, weil sie soll.
Nicht, weil sie muss.

Und das macht einen Unterschied.
Vielleicht keinen sichtbaren.
Aber einen fühlbaren.
Denn manche Texte trägt man durch den Körper, bevor sie auf Papier dürfen.
Manche Texte sind keine Inhalte.
Sondern Überlebensversuche.

Ich glaube, wir sind dabei, etwas zu verlieren.
Nicht unsere Fähigkeiten –
sondern unser Verhältnis zu Sprache.
Zu ihrer Verletzlichkeit.
Zu ihrer Wucht.
Und zu dem Mut, unperfekt zu sein,
wenn man etwas sagt, das echt ist.

Wir laufen Gefahr, Sprache nur noch als Werkzeug zu betrachten.
Als Produkt.
Als Mittel zum Zweck.
Dabei war sie immer auch ein Ort.
Ein Zuhause.
Ein Raum, in dem man sich verlieren durfte,
und manchmal wiedergefunden hat.

Ich schreibe nicht, um zu glänzen.
Ich schreibe, weil ich manchmal das Gefühl habe,
dass es das Einzige ist, was mich festhält.
Und ich glaube nicht, dass KI das je verstehen wird.
Nicht, weil sie dumm ist.
Sondern weil ihr etwas fehlt,
was sich nicht programmieren lässt:
Erinnerung.
Verlust.
Zweifel.
Liebe.

Echtheit.

Vielleicht kann sie irgendwann unsere Stimmen imitieren.
Aber sie wird nie wissen,
was es heißt, still zu sein,
und trotzdem gehört werden zu wollen.

Und genau deshalb werde ich weiterschreiben.
Nicht gegen die KI.
Sondern für das, was sie nicht kennt.

Für das, was wir fast vergessen hätten.

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