Ich war nie laut.
Nicht, weil ich nichts zu sagen hatte – sondern weil die Welt oft zu laut war für das, was ich fühlte.
Ich komme aus Ratingen, einer Stadt, die für mich nie wirklich passte – zu eng für meine Sehnsucht, zu weit für mein Herz. In mir war schon früh ein Raum, der nicht beschrieben werden konnte. Dunkel, schwer, unaussprechlich. Ein Ort, den man nicht freiwillig betritt, sondern der sich öffnet, wenn das Leben zu viel wird – oder zu leer.
Ich habe gelernt, mich durch Stille zu retten.
Während andere sprachen, beobachtete ich.
Während sie lachten, lauschte ich dem, was zwischen den Worten lag.
Ich war gut im Unsichtbarsein.
Und noch besser darin, Dinge zu spüren, die niemand aussprach.
Es gab Tage, da trug ich so viel in mir, dass das Atmen zu viel wurde.
Und Nächte, da war das einzige Geräusch in mir das eigene Herz – nicht weil es schlug, sondern weil es nicht wusste, wofür.
Das Schreiben kam nicht als Entscheidung.
Es kam als letzte Sprache, als letzte Hoffnung.
Als ich keine Stimme mehr fand,
wurden Worte zu einer Möglichkeit, weiter zu existieren.
Nicht für andere – sondern für mich.
Ich schrieb, weil das, was in mir war, nicht schweigen konnte.
Weil es sonst überlaufen würde.
Weil es sonst mich zum Schweigen gebracht hätte.
Ich schreibe nicht, um zu erklären.
Ich schreibe, um nicht zu verschwinden.
Der Wald war der erste Ort, an dem ich nicht das Gefühl hatte, zu stören.
Dort fragte niemand, warum ich schweige.
Dort musste ich nichts sagen, um da zu sein.
Die Bäume standen still, wie Zeugen.
Und zwischen ihren Schatten habe ich gelernt, dass Stille nicht leer ist.
Sondern voller Dinge, die niemand auszusprechen wagt.
Im Wald wurde ich nicht kleiner – ich wurde echter.
Ich musste nichts darstellen, nichts kontrollieren, nichts rechtfertigen.
Ich war einfach da.
Und das war genug.
Die Worte, die ich heute schreibe, sind keine Geschichten.
Sie folgen keiner Handlung.
Sie lösen nichts.
Sie sind Bruchstücke – Fragmente eines Inneren, das zu viel gesehen hat und trotzdem da ist.
Ich schreibe keine Bücher, um gelesen zu werden.
Ich schreibe, damit sich jemand, irgendwo, in einer Zeile wiederfindet.
Nicht ganz – aber ein bisschen.
Nicht vollständig – aber tief genug, um sich nicht mehr ganz allein zu fühlen.
„Das stumme Echo der Abwesenheit“ war mein erstes Buch.
Es war ein Versuch, dem Schweigen Form zu geben.
Es war kein Anfang – eher ein Aufschrei, so leise, dass ihn nur jene hören, die selbst lange geschwiegen haben.
Mit „Wie Stille schmeckt, wenn sie bleibt“ gehe ich weiter.
Nicht, weil ich geheilt bin.
Nicht, weil ich Antworten gefunden habe.
Sondern weil ich noch immer frage.
Noch immer atme.
Noch immer schreibe.
Ich bin kein Schriftsteller im klassischen Sinne.
Ich bin jemand, der aufgeschrieben hat, was sonst niemand sagen konnte.
Der gespürt hat, was andere nicht ertragen wollten.
Der geblieben ist, obwohl alles in ihm gegangen war.
Ich glaube nicht an große Worte.
Ich glaube an Echos.
An Bruchstücke.
An das, was in uns weiterlebt, wenn die Seite längst umgeblättert ist.
Und ich glaube daran,
dass selbst in der tiefsten Stille
etwas da ist,
das bleibt.
Und doch gibt es einen Teil von mir,
den selbst meine Worte nicht ganz erreichen.
Einen Ort in mir, der selbst beim Schreiben schweigt.
Vielleicht, weil manche Dinge nicht in Sprache passen.
Vielleicht, weil sie aus einer Zeit stammen, in der ich noch keine Worte kannte –
nur Dunkelheit.
Nur Geruch.
Nur Angst.
Ich habe vieles verloren, lange bevor ich wusste, was Besitz bedeutet.
Habe Räume verlassen, in denen ich nie wirklich war,
und Menschen geliebt, die meine Stille als Schwäche deuteten.
Ich wurde oft nicht gesehen – aber noch öfter falsch gelesen.
Und manchmal frage ich mich,
ob ich nicht genau deswegen schreibe:
Um endlich ganz da zu sein.
So, wie ich bin.
Unübersetzt.
Schreiben wurde zu einer leisen Revolution gegen mein eigenes Verstummen.
Ich schrieb, als niemand zuhörte.
Ich schrieb, als ich selbst aufhören wollte.
Ich schrieb –
weil Schreiben der einzige Ort war,
an dem mich niemand rauswarf.
Vielleicht ist das der wahre Kern all dessen, was ich tue:
Ich baue mir Räume aus Sprache,
in denen ich bleiben darf.
Ohne Erwartungen.
Ohne Masken.
Ohne Lärm.
Und wenn du diese Räume betrittst,
dann hoffe ich nicht, dass du mich verstehst.
Sondern, dass du dich ein bisschen selbst erkennst –
in einem Satz,
in einer Pause,
in einer Stille,
die nicht mehr weh tut.
Irgendwo, tief unter der Haut,
gibt es einen Ort, den niemand kennt.
Nicht, weil er geheim ist,
sondern weil er so leise ist,
dass nur wenige lange genug still sind,
um ihn zu hören.
Dort lebt alles, was nie ausgesprochen wurde.
Dort schlafen die Nächte, in denen niemand kam.
Dort atmen die Stunden, in denen wir uns selbst nicht retten konnten.
Und dort, zwischen Rissen, Staub und Erinnerung,
wächst etwas, das nicht schön ist –
aber echt.
Ich habe gelernt, dass Stille ein Gewicht hat.
Dass sie auf Schultern liegt wie Schnee,
sich in Knochen frisst,
bis man fast vergisst,
dass man einst laut war.
Aber ich habe auch gelernt,
dass sie trägt.
Dass sie mich hält,
wenn alles andere loslässt.
Dass sie keine Strafe ist,
sondern ein Ort,
an dem niemand urteilt.
Vielleicht ist das, was du in meinen Worten findest,
kein Trost.
Kein Licht.
Kein Weg hinaus.
Aber vielleicht –
für einen Atemzug –
ein Raum, in dem dein Schmerz
nicht mehr fremd klingt.
Ein Ort, an dem du nicht stärker sein musst.
An dem kein „Warum“ verlangt wird.
An dem alles, was du je verloren hast,
still neben dir sitzt,
ohne dich zu verschlingen.
Wenn du hier angekommen bist,
dann hast du etwas geschafft,
das kaum jemand sieht:
Du bist geblieben.
Und manchmal,
wenn alles verstummt –
reicht genau das.


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